Letzte Generation
Wer ist hier kriminell?
Sind es die Aktivisten, die, nachdem sie die Forderung an die Bundesregierung erhoben haben, zu den internationalen Verpflichtungen der BRD zu stehen und das Menschenrecht auf Leben auch der kommenden Generationen zu wahren (siehe Brief an die Bundesregierung), mit dem Festkleben an Bildern in Museen oder auf Hauptverkehrsstraßen in großen Städten diese Forderungen untermauern? Oder sind es die Regierungsverantwortlichen, die keinen Klimaschutz betreiben? Sind es die Autofahrer, die wütend vor festgeklebten Demonstranten stehen, diese bedrohen, beleidigen und verletzen, weil es ihnen wichtiger ist ihre zwei Tonnen Auto irgendwohin zu fahren, als einfach nur da zu sein, wo sie gerade sind? Sind es wir alle, die wir nicht endlich beginnen, den Klimaschutz wahr zu machen?
Haben wir es denn immer noch nicht begriffen, dass wir schon etliche Kipppunkte erreicht haben, und selbst ein sofortiger Stopp sämtlicher CO2-Emissionen (plus diverser anderer Treibhausgase) immer noch zu einer jahrzehntelang fortschreitenden Erhitzung der Erdoberfläche führen wird?
Zum Glück ist auch die Menschheit eine vorübergehende Erscheinung auf dem Planeten Erde in einem Kosmos, dessen Grenzen unbekannt sind. Viele Tierarten sind ausgestorben, so demnächst auch der Mensch. Schade, dass er viele unschuldige Arten mit in den Abgrund reißen wird. Schade, zu wissen, dass die letzte Generation diesen Namen vermutlich zurecht trägt. Wir, die wir zur vorletzten, vielleicht auch schon zur vorvorletzten Generation gehören, werden in der Bewusstheit sterben, dass wir diesen Planeten zerstört haben. Wir sind nicht mehr Überbringer und Wahrer des Lebens. Wir sind die Weltenzerstörer.
Wir alle sind die letzte Generation, die das Schicksal der Menschheit noch entscheiden kann.
Dieser Satz stammt aus dem offenen Brief an die Bundesregierung. Ein verzweifelter Ruf, in dem doch noch ein Rest an Hoffnung mit schwingt.
Ich habe die größte Hochachtung vor den Weltschützern der Organisation „Letzte Generation“. Und ich bin entsetzt von der Hetze, die viele Menschen gegen die Aktivisten und Aktionen betreiben. Wenn ein Innenminister Reul (NRW, CDU) diese Organisation untersuchen und ihre Hintermänner finden will, dann klingt das nur wie die originäre Aufgabe eines Chefs der „Sicherheitsorgane“. Tatsächlich aber lenkt es ab von der eigentlichen Verantwortung, die eben bei Regierungen auf allen Ebenen liegt. Faule Kompromisse von Landesregierungen und Bundesregierungen sollten entlarvt und ihre Hintermänner gefunden werden. Das aber sieht Herr Reul nicht als seine Aufgabe an. Zerstörung der Lebenswelt ist ehrenhaft. Dagegen zu protestieren, hält er wohl für eine Straftat.
Diesen Widerstand kennen wir. Alle Gruppierungen, die sich gegen die bestehende Unordnung auflehnen, wurden und werden kriminalisiert und verfolgt. Das ist in China oder Iran nicht anders als bei uns in Deutschland. Nur dass bei uns die Verfolgung aus einer satten, dummen Bevölkerung heraus stattfindet. Je dicker das Auto, desto wütender der Fahrer, wenn er nicht mehr freie Fahrt bekommt.
Die Protesteierenden gegen Atomenergie wurden in den 70er Jahren von der Polizei zusammen geknüppelt. Das passiert weiter mit den Menschen, die vom Braunkohleabbau bedrohte Wälder und Dörfer besetzen. Die Schüler, die Fridays for Future-Demonstrationen machten, wurden aufgefordert, doch lieber in die Schule zu gehen – unter Androhung von Strafe. Die Ziele wurden und werden von den Mächtigen dieses Landes nicht ernst genommen. Die Letzte Generation bringt die Proteste wieder auf eine neue Eskalationsstufe. Wenn die Politik wieder mit Gewalt reagiert, was Leute wie Reul immer gerne tun (lassen), könnte es bald zum Bürgerkrieg kommen.
Die kritische Masse junger Menschen, die sich aller Chancen auf ein Leben benommen sehen, steigt. Sie haben begriffen, dass das ewige Vertrösten auf eine bessere Zukunft immer eine Lüge war. Bereits 2030 wird die Erde im Mittel 1,5 Kelvin wärmer sein, als vor der Industrialisierung. Erst 2045 soll, könnte, vielleicht, wenn wir es denn schaffen, und nachher noch Lust darauf haben, und es nicht wieder in die Zukunft verschieben, Deutschland klimaneutral sein. Das ist der offizielle Plan einer Bundesregierung, die mit grüner Beteiligung jetzt im Eiltempo Erdgasterminals in’s Wattenmeer hämmert.
Bildnachweis:
Aktivisten in Göttingen am 05.12.2022, Foto: Pressebild von letztegeneration.de
Weitere Beiträge zum Thema:
Die Website von: Fridays for Future
Die Selbstdarstellung von: Letzte Generation
Artikel vom 03.12.2022 auf RP-online: NRW-Innenminister Reul fordert genaue Beobachtung von „Letzter Generation“
Artikel vom 24.11.2022 im Spiegel: NRW will Lützerath mit Großeinsatz räumen
Artikel vom 21.09.2022: People not Profit