Bestandsschutz schadet Allen
Ein Plädoyer für einen Paradigmenwechsel beim Bestandsschutz.
Wer ein Gebäude besitzt, darf es so benutzen, wie es ist. Erst wenn man ein Bauteil verändert, greifen die Anforderungen des Paragraphen 9 der EnEV. Lediglich in ganz wenigen Zusammenhängen gibt es Anfoderungen, die schon im regelmäßigen Betrieb zu erfüllen sind. Bekannt sind die Anforderung der Dämmung oberster Geschossdecken, die Dämmung von Heizungsrohren und der Austausch von mehr als 30 Jahre alten Kesseln (§ 10, EnEV).
Im Foto rechts: Der Altbau aus den 1970er Jahren ist energetisch eine Katastrophe – und genießt Bestandsschutz.
Bestandsschutz ist ein Recht für Eigentümer
Im Normalfall greift jedoch der Bestandsschutz, sofern die Gebäude einmal gültig genehmigt worden sind. Hiermit sollen Eigentümer vor willkürlicher Änderung von Gesetzen oder Verordnungen geschützt werden. Der Hintergrund ist der Schutz von Eigentumsrechten. Wenn ein Hausbesitzer dreißig Jahre nachdem er ein Haus gebaut hat mit der Aufforderung konfrontiert würde, sein Haus auf Neubaustandard zu bringen, dann hätte er eventuell ein echtes Problem. Kann er die Kosten nicht mehr stemmen, dann müsste er sein Haus eventuell verkaufen. Da das Haus aber nicht den geltenden Anforderungen genügt, bekäme er vermutlich lediglich einen sehr kleinen Preis dafür.
Dieser Zusammenhang ist einleuchtend und wird von der Mehrheit der Menschen in unserem Land verstanden und die Rechtsnorm des Bestandsschutzes wohlwollend akzeptiert. Es gibt jedoch eine Kehrseite: Die Kosten der Nicht-Sanierung werden der Allgemeinheit aufgebürdet. Nicht oder schlecht gedämmt Gebäude brauchen mehr Heizenergie, die zu mehr Emissionen führt. Ineffiziente oder schlechte Heizanlagen führen ebenfalls zu mehr Emissionen an Kohlendioxid und anderen Schadstoffen. Die Folgen sind schlechte Luft und ein weltweiter Anstieg der Temperatur auf der Erdoberfläche durch Treibhausgase.
Schäden am Weltklima gegen Eigentumsrechte
Diese Klimaerwärmung führt nach Schätzungen der Versicherungsbranche zu erheblichen Folgekosten durch Tornados, Hurricanes, Überschwemmungen, Dürren, Gletscherschmelze, Anstieg der Meeresoberfläche etc. Diese Kosten trägt jedoch nicht der Verursacher des Schadens, also der Hausbesitzer, der weiterhin ein schlechtes Gebäude betreibt und viel Energierohstoffe verbrennt. Die Folgekosten werden – wieder einmal – sozialisiert. Das heißt, die Zeche zahlen Alle und vor allem die nachfolgenden Generationen. Dabei werden die Folgekosten der Emission von Kohlendioxid mit 50-500 € je Tonne CO2 angenommen.
Dass Bestandsschutz nicht unverrückbar ist, zeigen Beispiele aus anderen Bereichen.
Autos müssen alle zwei Jahre zur Hauptuntersuchung. Hat das Fahrzeug schwerwiegende Mängel, dann gibt es keine Plakette und keine Berechtigung, das Fahrzeug weiter zu benutzen. Hierbei wird die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer über den Anspruch des Eigentümers gestellt, sein Fahrzeug weiter zu benutzen. Wer das nicht mehr bezahlen kann, muss sein Auto verkaufen oder verschrotten. Der Atomausstieg ist vom Gesetzgeber beschlossen worden, wobei in der Begründung wiederum das öffentliche Sicherheitsinteresse über das Eigentümerinteresse, also den prognostizierten monetären Gewinn, gestellt wird. Im Gebäudebereich erlischt der Bestandsschutz bei Heizkesseln, die zulässige Emissionswerte überschreiten oder die einfach so alt sind, dass von einer extrem schlechten Effizienz auszugehen ist.
Das Foto links zeigt so ein altes „Schätzchen“.
Dem Gesetzgeber ist der Zwiespalt natürlich bewusst. Bislang halten Regierungen und Parlamente noch eisern am Bestandsschutz bei Gebäuden fest. Die ebenfalls hoch gehaltenen Ziele des Klimaschutzes versucht der Staat durch Förderung von Effizienzmaßnahmen zu erreichen. Für private Hauseigentümer, die ihre Immobilie sanieren wollen, gibt es saftige Förderungen (vgl. auch den Beitrag vom 14. September 2015: Ein Drittel Zuschuss für Effizienzhaussanierung). Und auch für Unternehmen gibt es ordentliche Förderungen für Energieberatung im Mittelstand und Effizienzmaßnahmen.
Nun könnte man auf die Idee kommen, Bestandsschutz nicht als ein individuelles Recht sondern als ein kollektives zu begreifen. Wenn der Bestand der Erde als für Menschen bewohnbarer Ort den Bestand darstellt, dessen wir Alle bedürfen, der unsere Lebensgrundlage darstellt, ohne die wir aussterben, nachdem unsere Nachkommen vielleicht noch einige Jahrhunderte unter größtem Einsatz versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Wenn wir diesen Bestand über denjenigen an Verfügungsrecht über Teile dieser Welt, die ein Individuum als Eigentum betrachtet, stellten, dann würde sich unsere Haltung radikal ändern müssen.
Wenn unter solchen Prämissen jemand nicht im Stande wäre, das ihm zur Verfügung gestellte Eigentum so zu erhalten und weiter zu entwickeln wie es die Allgemeinheit für erforderlich erachtet, um die Welt für Alle zu erhalten, dann müsste die Allgemeinheit die Verantwortung für dieses Objekt übernehmen. Das heißt, nicht nur die Kosten, sondern auch das Eigentum würden sozialisiert. Der Eigentümer müsste zumindest in dem Punkt die Verfügungsgewalt über sein Eigentum verlieren, in dem er den geltenden Regeln nicht mehr entsprechen kann oder will. Die sehr knapp gehaltene Rechtsnorm des Grundgesetzes Artikel 14 (2): „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ bekäme eine neue Qualität und Aktualität. In dem Maße, in dem die Allgemeinheit Verbesserungen an Häusern finanziert, wäre sie dann auch an den Häusern Miteigentümerin.
Diese Änderung der Grundausrichtung des Bestandsschutzes implizierte noch eine weitere Folge. Heute ist es so, dass die Allgemeinheit über Fördermittel, die Sanierern gewährt werden, damit sie ihre Immobilien energetisch verbessern, das Eigentum des Empfängers vermehrt. Dabei bleibt die Allgemeinheit lediglich insofern Nutznießerin, als sie die Lebensgrundlage für die Allgemeinheit verbessern hilft. Erhielte die cofinanzierende Allgemeinheit jedoch Eigentumsrechte, dann würde dies wiederum eine Form von Bestandsschutz darstellen. Wir haben es bei der „Bankenrettung“ gesehen, was mit öffentlichen Geldern passiert, die privaten Eigentümern gegeben werden. Sie werden vereinnahmt und als „alles meins“ betrachtet. Dankbarkeit oder gar so etwas wie ein Gefühl von Verpflichtung denjenigen gegenüber, die die Rettungsmilliarden aufgebracht haben, gibt es nicht.
Je mehr Eigentum jemand hat, desto mehr Zuschüsse kann er einstreichen
Auch bei Haussanierern, die Zuschüsse eingestrichen haben, habe ich nie Dankbarkeit gegenüber der Allgemeinheit, die diese Gelder bereitstellt, feststellen können. Eher gibt es so etwas wie mitleidige Häme: „Die KfW ist doch irgendwie blöd, dass sie mir das viele Geld gibt.“ „Na ja, und dann habe ich die KfW auch noch ein bisschen beschissen, indem ich das neue Bad mit auf die Rechnung für die Heizungsanlage habe schreiben lassen.“ Solche Kommentare sind keine Einzelfälle.
Je mehr Eigentum jemand hat, desto mehr Zuschüsse kann er einstreichen. Am anderen Ende bedeutet das: Wer wenig hat, bekommt nicht nur nichts, sondern finanziert über seine Steuern und sonstige Abgaben die Zuschüsse für die Wohlhabenden, deren Eigentumsrechte immer weiter wachsen und mit Bestandsschutz belegt sind.
Wohlverstanden: Dies ist ein Plädoyer für eine Änderung der Ziele. Eigentum und Bestandsschutz sollen erhalten bleiben, aber bei denjenigen, die das Eigentum erst erschaffen. Die Welt soll allen gehören und für alle Bestandsschutz haben.
Bildnachweise:
alle Fotos: Archivbilder Ingenieurbüro Matthaei